Gerade im Vorfeld des Hiroshimatags - und "im 1. Jahr nach Fukushima" erinnern wir regelmäßig daran, wie sehr die Atomtechnologie durch den Machtanspruch mit dem "Hang zur Bombe" geprägt ist.

Gerta Stählin hat durchgehend immer "beide Themen" verfolgt und stellte mit diesem Beitrag beim jüngsten Plenum (28.6.2012) erneut die aktuelle Dramatik vor Augen.

Die Asse II, von der in den letzten Wochen wieder einmal in den Medien die Rede war – aber bei der Menge von Informationen kommt meist nur das rüber, woran man interessiert ist -

die Asse II ist ein früheres Salzbergwerk in einem Höhenzug bei Wolfenbüttel, (Goslar und Braunschweig sind die nächsten Städte). Der Salzstock erstreckt sich weit über Niedersachsen, von Hildesheim bis Lüneburg. In das stillgelegte Salzbergwerk wurde von 1967 bis 1978 Atommüll eingelagert – zu Forschungszwecken. 126.300 Fässer (solche gelben mit dem schwarzen Atomsymbol) wurden in verschiedenen Sohlen gelagert.

Ich kenne die Asse ganz gut, weil ich mich als Mitglied der „Feuergruppe“ seit vielen Jahren mit dem nicht zu löschenden atomaren Feuer, mit den Problemen der Endlagerung beschäftigt habe. Mehrmals bin ich dort gewesen.

Ich möchte euch einen Überblick darüber geben, was da da seit über 50 Jahren abgelaufen ist; und wie der brisante aktuelle Stand ist..
Zuvor aber zum besseren Verständnis einige Angaben über das Grubengelände:
Aus dem Berg wurde seit Ende des 18. Jahrhundert Salz gewonnen. Der Schacht Asse I ist 1911 voll Wasser gelaufen, „abgesoffen“, und mußte aufgegeben werden. Zu Anfang des 20. Jahrhunderts wurde der Schacht Asse II mit 12 Sohlen untereinander gegraben, zur Gewinnung von Kalisalz und Steinsalz. Die Sohlen beginnen 490 Meter unter Tage, da lag die Salzschicht im Berg, sie reichen bis fast 800 Meter tief. Auf jeder der 12 Sohlen liegen aneinander gereihte Abbaukammern, wobei unter Kammer meist ein saalgroßer Raum zu verstehen ist, mindestens so groß und breit, dass man bequem mit Bagger oder Jeep durchfahren kann. Die Sohlen sind über einen senkrecht fahrenden Förderkorb von oben erreichbar – ein einfacher Fahrstuhl. Aber auch untereinander sind die Sohlen und Kammern durch viele Verbindungsstrecken verbunden. Es geht dabei abwärts in Kurven, fast wie in einer Achterbahn.

1909 bis 1964 war das Bergwerk in Betrieb, dann wurde es aufgegeben.
1965 erwarb die Bundesrepublik das stillgelegte Bergwerk und beauftragte die Forschungsgesellschaft für Umwelt und Gesundheit(GSF) damit, dort Forschungsarbeiten zur sicheren Endlagerung radioaktiver Abfälle durchzuführen, inzwischen umbenannt als Helmholtz-Zentrum auch Betreiber.

In den Jahren 1967 bis bis 1978 wurden in die alten Abbaukammern in 511 Meter Tiefe 125.000 Fässer schwach radioaktiver Müll und in einer Tiefe von 790 Meter 1300 Fässer mit mittelradioaktivem Müll eingelagert. Dabei wurde ab 1974 eine Versturztechnik angewandt: Schaufellader kippten die Fässer einfach in tiefer gelegene Hohlräume – das ging schnell.
Es hieß damals, das seien Abfälle aus der Radiologie, dann hieß es, die Hälfte davon käme aus dem Kernforschungszentrum in Jülich bei Karlsruhe..
1978 traten neue Bestimmungen des Atomgesetzes in Kraft. Danach ist ohne Durchführung eines Planfeststellungsverfahrens mit Öffentlichkeitsbeteiligung kein Endlager von Atommüll erlaubt.
Darum wurde 1978 die Einlagerung gestoppt. Es wurde aber weiter mit radioaktiven Substanzen geforscht, es wurden Tests gemacht und technische Verfahren zum Verhalten von Salz bei Strahlungseinwirkung durchgeführt. Dazu wurde das Bergwerk technisch ausgebaut.
1992 wurde die Versuchstätigkeit eingestellt, weil der Berg nicht stabil ist: Von oben und von der Seite drückt das Gestein auf die Hohlräume. Es besteht die Gefahr, dass radioaktives Material z.B. Gase) auf lange Sicht an die Oberfläche gedrückt wird und in die Biosphäre entweicht. Ein Sprecher der GSF erklärte, die Deckschicht verforme sich jährlich um 12 Millimeter – das bedeutet bei 10.000 Jahren eine Veränderung um 100 Meter – und Plutonium hat eine Halbwertzeit von 24.000 Jahren. Ja, es hatte sich herausgestellt, dass auch 28 Kilo des hoch radioaktiven Plutoniums, verteilt auf viele Fässern dort liegt, allerdings war das schwer zu lokalisieren, weil die Dokumentation der Einlagerungen unvollständig war.

Und: seit 1988 ist klar, dass das Bergwerk nicht trocken bleibt.
1991 stellte die GSF fest, dass Salzlauge aus dem Deckgebirge in die Hohlräume einsickert. Inzwischen sind das täglich 12 Kubikmeter. Ein Teil davon wird in Auffangbecken geleitet und abgepumpt, aber dieser Laugeneinfluss ist nicht beherrschbar Die Atomfässer begannen zu korrodieren. Und die Salzlauge begann auch, die aufgeschlossenen Carnallitit-Bereiche im Bergwerk aufzulösen. Es ist zu befürchten, dass der eingelagerte Atommüll in 50 oder 100 Jahren über kontaminiertes Grundwasser nicht nur die umliegenden Ortschaften bedroht, sondern Auswirkungen bis nach Bremen und Hamburg hat.

Zur Verbesserung der Standfestigkeit (um zu verhindern, dass die Decken auf einigen Sohlen einstürzten) empfahlen die Gutachter, die Verfüllung der verbliebenen leeren Hohlräume mit Salz.
Inzwischen wurde vom Umweltministerium in Hannover ein Langzeitsicherheitsnachweis gefordert – und zwar über 1 Mio Jahre! Wie kann so eine Forderung gewissenhaft erfüllt werden?? Wer kann so weit in die Zukunft Vorhersagen machen – von Nachweis ganz abgesehen?
Fazit: Die geplante Lagerung von radioaktiven Abfällen in der Asse II musste als gescheitert angesehen werden.

1995 begann die Verfüllung mit Abraumsalz, güterzugweise – 2,5 Mio Tonnen waren nötig.
Bis 2005 waren die leeren Abbaukammern der Südflanke des Berges verfüllt
Bis 2007 sollten alle restlichen Hohlräume gefüllt und mit Barrieren versehen werden; Bis 2011 sollte der Schacht verschlossen sein
Asse II war zum Endlager erklärt.
Das Endlager sollte wartungsfrei sein – also kein Zugriff mehr, keine Sorge mehr.

Die örtlichen Bürgerinitiativen, die sich zur Aktion Atomfreie Asse, (AAA) zusammengeschlossen hatten, waren schon jahrelang empört über das ganze Projekt. Sie erfuhren, dass ihr Verdacht, die Asse sei ohnehin in Karlsruhe von Anfang an als Endlager geplant gewesen, berechtigt gewesen war. Die Bürger waren oft belogen uns hinters Licht geführt worden.
Sie forderten die Rückholbarkeit der Fässer und argumentierten, bestärkt durch namhafte Wissenschaftler:
Forschungsergebnisse sind immer vorläufig. Sie werden von späteren Forschungsergebnissen überholt und oft revidiert. Darum müssen Fakten überprüfbar bleiben, besonders wenn es sich um einen so sensiblen Bereich wie Atommüll handelt. Die endgültige und nicht mehr zugängliche Lagerung von Atommüll ist unwissenschaftlich. Sie bedeutet eine irreversible Gefahrenquelle.

In Verbindung mit den Fragen um Rückholbarkeit oder Versiegelung dachten damals eine Reihe von Wissenschaftlern über Möglichkeiten nach, wie die Menschen, die in 5000 und 10.000 Jahren in dieser Region leben würden, vor den Gefahren gewarnt werden könnten, die im Berg liegen. Wenn man daran denkt, wie wenig wir von unseren Vorfahren vor 10.000 Jahren wissen und verstehen, erweist es sich als schwierig, Botschaften zu finden, die zeitunabhängig gelten könnten. Ich kürze den Prozeß ab::
Schließlich kamen die Wissenschaftler zu dem Schluss, dass weltweit Überwachungszentren eingerichtet werden müssten, in denen das Wissen um die Atomenergie und die atomaren Lager bewahrt und von einer Generation zur nächsten weitergegeben würden.
Die Bürgerinitiative entwickelte Pläne für ein Überwachungszentrum in den denkmalgeschützten Gebäuden des Asse-Bergwerks, das über Generationen hin das Wissen um die im Berg gelagerten Gefahren bewahrt und weitergibt. Denn in unserer kurzlebigen Zeit kann das, was nicht von aktuellem Interesse ist, leicht vergessen werden – auch wenn die Fakten gespeichert sind.

Es besteht heute Übereinstimmung unter führenden Wissenschaftlern, dass bei der Technikfolgenabschätzung primär berücksichtigt werden muss, dass kein Mensch fehlerfrei arbeitet. Technologien müssen der menschlichen Natur entsprechend fehlerfreundlich und reversibel gestaltet werden. Vor allem ist die existenzielle Gefährdung künftiger Generationen auszuschließen.
Das sind Bedingungen, denen die Atomenergie nicht entspricht. Wir haben darauf schon seit mindestens zwanzig Jahren hingewiesen....

Zurück zur Geschichte der Asse II
2010 fasste das Bundesamt für Strahlenschutz – es hatte das Helmholtz-Zentrum als Betreiber abgelöst durch das Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit – einen Grundsatzbeschluss: die 126.000 Fässer sollten zurückgeholt werden! Die beiden anderen möglichen Varianten - Schließung und Umlagerung – wurden ausgeschlossen. Begründung: Die Stabilität des riesigen Grubengebäudes sei akut gefährdet. Aufwendige Bauarbeiten unter Tage könnten die Gefahr nur um wenige Jahre hinausschieben. Unter den realen Bedingungen sei der Langzeitsicherheitsnachweis nicht zu führen (Die amtliche Feststellung, in dem Bergwerk hätte nie Atommüll gelagert werden dürfen, verwundert uns kritische Laien nicht).

Es folgte eine auf 10 Jahre befristete Planung: ein 2. Förderschacht zum Herausholen des kontaminierten Materials ist nötig, Maschinen für einen ferngesteuerten Einsatz unter Tage müssen erstellt werden, ein Zwischenlager mit Konditionierungsanlage muss gebaut werden...
Die Vorbereitungsarbeiten sind an sehr viele Gesetze und Vorsichtsmaßnahmen gebunden, an Probe-Untersuchungen, Bauvorschriften u.s.w.
Es stellte sich bald die Frage, ob die Zeit ausreichen würde.

Im Dezember 2011 erklärt ein Abteilungsleiter des Bundesamtes für Strahlenschutz öffentlich, die Rückholung der Fässer sei unwahrscheinlich – aus Zeitgründen: die Standsicherheit es Bergwerks bestehe nur noch wenige Jahre.
Die Bürgerinitiative ist wütend und stellt amtliche Verzögerung und Stagnation bei den Vorbereitungen fest. Sie besteht auf der Rückholung und fordert energischeres Engagement.

Im Januar 2012 findet ein Expertentreffen auf Einladung der GfS statt: Es geht um die Frage, ob und wie das stockende Verfahren zur Rückholung des Atommülls wieder in Gang gebracht werden kann. Von amtlicher Seite gibt es Zweifel, Zögern, die FDP blockiert.
Ein Sondergesetz (Lex Asse) wird erwogen zur Abkürzung der vorbereitenden Vorschriften.

April 2012: Das Bundesamt f.S. teilt mit, in einem Bohrloch der schon verschlossenen Kammer 12 in 750 Meter Tiefe wurde eine Cäsium 137-Aktivität von 24 000 Becquerel pro Liter festgestellt, außerdem Kobalt 60. Also hoch radioaktives Material. Die eingelagerten Fässer lecken offenbar oder sind durchgerostet.
Das GfS spricht davon, dass die Rückholung vielleicht im Jahr 2036 beginnen könne.

Der Betreiber hat inzwischen schon alle baulichen Vorbereitungen für den Notfall getroffen, um den Berg jederzeit fluten zu können. „Fluten“ heißt: Einleitung von tausenden von Kubikmetern Magnesiumchlorid-Lösung zwischen und über die Fässer sowie in die Hohlräume pumpen …
Danach könnte der Atommüll nicht mehr herausgeholt werden. Und es gäbe keine Hohlräume mehr, sodass der ständige Druck vom Deckgebirge und von der Seite die kontaminierte Salzlauge (den Matsch! sagte Michael Sailer vom Öko-Institut Darmstadt) in das Gestein drücken würde. Auf demselben Weg, wie jetzt die Salzlauge aus dem Gestein in die Abraumkammern sickert, würde kontaminiertes nasses Material durch die Gesteinsschichten nach oben und unten gedrückt und in die Biosphäre eindringen.

Zur Erinnerung:

Die Halbwertzeit von Caesium ist 30 Jahre (2016, 2. Hälfte 2046)
Strontium ist in 50 Jahren halbwertig, 2036, die 2. Hälfte strahlt bis 2086
Plutonium hat die Halbwertzeit 24.000 Jahre …

Ich muss die Folgen der Flutung nicht ausmalen.

Juni 2012: Der Asse-Aktionskreis hat den Eindruck, dass Betreiber und Politiker auf Zeit spielen; Sie warten auf das Absaufen der Asse – dann erübrigt sich die Rückholung.
Dann ist der Notfall eingetreten – es wird geflutet.

Der alternative Notfallplan des Aktionskreises atomfreie Asse heißt: Abpumpen statt Fluten!
Dazu ist es nötig, mehr als die täglich anfallenden 12 Kubikmeter Salzlauge abzupumpen. Bei Einführen eines Rohres von 10 cm Querschnitt wäre es möglich, täglich bis zu 500 Kubikmeter nicht nur der Lauge, sondern auch des sogenannten Matsches, der inzwischen entstandenen Pampe abzupumpen. Dazu könnten Pumpen aus Erzbergwerken benützt werden. Oben würde alles mit Kesselwagen in das ohnehin geplante Zwischenlager mit Konditionierungsanlage transportiert werden.

Eine Beilage der taz, die vor 10 Tagen erschien, richtet sich mit dem Titel ASSE-ALARM!
an die Öffentlichkeit.Eine Unterschriftenaktion ist gerade zu Ende gegngen:
„Ich bin gegen die Flutung des Mülls in der Asse II! Pumpen statt Fluten!“