Redebeitrag Irmgard Hofer (Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit)

”Zerstörung für alle Zeiten gesichert”

”Zerstörung für alle Zeiten gesichert”- “Assuring destruction forever“, heißt eine Mitte April erschienene Studie, die von unserem Lobby-Projekt für nukleare Abrüstung „Reaching Critical Will“ in Auftrag gegeben wurde und auf der gleichnamigen Website abrufbar ist. „Uns„ damit meine ich die Internationale Frauenliga für Frieden und Freiheit, englisch WILPF Womens International League For Peace and Freedom, der ich angehöre.

In der Studie werden die weltweiten Ausgaben für Nuklearwaffen im Jahr 2011 durch die Atomwaffenstaaten China, Großbritannien, Frankreich, Indien, Israel, Pakistan, Russland und USA auf 100 Milliarden Dollar geschätzt, umgerechnet circa 79 Milliarden Euro. Die US-Regierung gibt an, 5113 einsetzbare Atomwaffen zu besitzen; Schätzungen zufolge gibt es darüber hinaus noch ca. 3.500 ausgemusterte Sprengköpfe, die für einen evtl. Wiedereinsatz vorgehalten werden. Die USA produzierte 850 Tonnen Hochangereichertes Uran und 85 Tonnen waffenfähiges Plutonium. (Wir erinnern uns: laut Wikipedia liegt die für den Menschen tödliche Dosis im 2stelligen Milligrammbereich!). Das Stockholmer Friedensinstitut SIPRI schätzt, dass weltweit über 20 000 dieser Massenvernichtungswaffen lagern, von denen viele einzeln mehr Zerstörungskraft haben als die Bombe von Hiroshima.

1945 wurde in der ersten UN-Resolution die Abschaffung der Atomwaffen beschlossen. Der internationale Gerichtshof erklärte bereits 1996 die Androhung und den Gebrauch der Atomwaffen für grundsätzlich völkerrechtswidrig.
Nachdem der Schrecken über Hiroshima und Nagasaki etwas abgeflaut war, wurde uns das so genannte „Gleichgewicht des Schreckens“ als Friedensgarant verkauft. Angeblich ganz rational und logisch wurde uns erklärt: „Atomwaffen sind ganz schrecklich. Wir guten Atomstaaten, z. B. die NATO-Staaten USA, Frankreich und Großbritannien, dürfen Nuklearwaffen haben. Wir werden diese zerstörerischen Waffen selbstverständlich nicht einsetzen. Wir drohen nur damit, dass wir sie einsetzen könnten. Wir drohen, dass wir sie einsetzen, wenn wir nur vermuten, dass uns jemand angreifen will. Das nennen wir Erstschlag. Für diese Waffen, die für keinen Einsatz bestimmt sind und schon alleine bei der Produktion, beim Transport und bei der Lagerung extrem giftig sind, geben wir ganz viel Geld aus. Deshalb fehlt uns Geld für z. B. Entwicklungshilfe und es sterben täglich 20 000 Kinder am Hungertod. Wir haben auch noch keine Ahnung, wie und wo wir den tödlich strahlenden Atommüll so entsorgen, dass die kommenden Generationen in den nächsten tausend Jahren nicht verseucht werden.“ Anstatt gemeinsam zu rufen: „Stoppt diesen Wahnsinn!“ segnen die demokratisch gewählten Parlamentarier nukleare Militärbudgets ab und regen sich höchstens darüber auf, dass manche ungewählte Diktatoren auch mit schrecklichen Waffen drohen wollen, damit sie nicht angegriffen werden.

Im Rahmen der „nuklearen Teilhabe“ in der NATO sind auch in den fünf europäischen Ländern Deutschland, Türkei, Italien, Niederlande und Belgien US-Atombomben stationiert, z.B. im Fliegerhorst Büchel in der Eifel. Die Hoffnungen auf eine weltweite atomare Abrüstung nach dem Ende des Kalten Krieges haben sich trotz der Ankündigung von US-Präsident Obama und trotz des einmütigen Beschlusses des Deutschen Bundestags vom 26. März 2010 zum Abzug aller in Deutschland gelagerten Atomwaffen nicht erfüllt. Die NATO-Atom-Staaten haben ein neues Zauberwort: „Modernisierung“. Durch Veränderung der Trägersysteme und Elektronik werden die Sprengkörper mit größerer Treffsicherheit und Reichweite ausgestattet. Aus der B61, die bei uns in Büchel lagert, wird die B61 12. Allein in den USA sind etwa 10 Milliarden US-Dollar für die Modernisierung der u. a. in Europa gelagerten Atomwaffen vorgesehen. Die Hoffnung, nach dem Ende des Kalten Krieges könnten sich alle Staaten dem Atomwaffensperrvertrag anschließen und die Atomwaffenstaaten könnten mit der Abrüstung ihrer Waffenarsenale beginnen, ist damit wieder in weite Ferne gerückt.

Deshalb haben sich inzwischen schon rund 50 0rganisationen in Deutschland in der Kampagne „atomwaffenfrei.jetzt" zusammengeschlossen, die im März 2012 gestartet wurde. Sie zielt auf eine Welt ohne Atomwaffen durch eine Nuklearwaffenkonvention, die Atomwaffen verbietet und deren Vernichtung fordert. Konkret fordern wir den Abzug der US - Atomwaffen aus Deutschland sowie den Stopp der Modernisierung.

In einer ersten Phase „Next.Stop.Chicago“ hatten wir anlässlich des NATO-Gipfels im Mai durch vielfältige Aktionen auf die geplante Modernisierung der Atomwaffen hingewiesen, zum Beispiel bei den Ostermarsch-Aktionen.

Die zweite Phase „Flagge zeigen“ geht bis zum Ende der Bundestagswahl im Herbst 2013. Die „Bürgermeister für den Frieden" in Deutschland, weltweit sind über 5.000 Städte in mehr als 150 Ländern diesem Verband angeschlossen, 402 Städte allein bei uns, werden über ihren Rathäusern eine Flagge für Abrüstung wehen lassen. Wir wollen, dass im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung steht, dass die neue Regierung eine internationale Nuklearwaffenkonvention aktiv unterstützt. Höhepunkt der Phase wird im Sommer 2013 eine große Protestaktion am Atomwaffenstandort Büchel sein, gerade findet dort eine Fastenaktion zum Hiroshimatag statt, um wieder einmal darauf hinzuweisen, dass dort Bundeswehrpiloten im Rahmen der nuklearen Teilhabe den Abwurf von Atombomben üben. Es wird vermutet, dass dort ca. 20 Bomben liegen, deren jede die bis zu 9fache Zerstörungskraft der Hiroshima-Bombe enthält. Unterstützt uns bis zur Bundestagswahl, sorgt dafür, dass sich in eurem Wahlkreis die Kandidaten und Kandidatinnen dazu bekennen müssen, ob sie sich für eine Nuklearwaffenkonvention einsetzen werden und macht deren Einstellungen bekannt.

Die dritte Phase der Kampagne heißt: „Last Exit. New York“. Sie dauert bis zur Überprüfungskonferenz des Atomwaffensperrvertrages im Mai 2015. Wir wollen, dass die deutsche Regierung eine aktive Rolle für die Aufnahme der Verhandlungen über eine Nuklearwaffenkonvention übernimmt, bis zu diesem Zeitpunkt sollten die Atomwaffen aus Deutschland abgezogen sein.

Die NATO hat im Mai in Chicago den gemeinsamen Raketenabwehrschild für Europa sowie die Beibehaltung der nuklearen Option in der Nato beschlossen. Die modernisierten Bomben, die erweiterten Trägersysteme, die Raketenabwehr gegen den eventuell zu erwartenden „Vergeltungsschlag“ lassen einen Ersteinsatz der NATO wahrscheinlicher werden und bringen das so genannte strategische Gleichgewicht ins Schwanken. Russland fühlt sich dadurch bedroht; Medjedew hatte im russischen Wahlkampf den USA mit der Stationierung von Raketen nahe der Grenze zur Nato gedroht. Sollten die USA wie geplant das Raketenabwehrsystem in Europa aufbauen, werde Russland moderne Offensivwaffen aufstellen, die den Schutzschild durchbrechen und zerstören könnten. Er ordnete zudem an, die Atomwaffenanlagen des Landes stärker zu schützen.
„Ungleichgewicht des Schreckens“, so der Titel eines Artikels von Scott S. Sagan in der Nature, der am 30. 7. in der Spectrum veröffentlicht wurde. Anstatt zweier sich gegenüberstehenden Atommächte im Kalten Krieg hätten wir nun neun Atommächte, die sich im Schutz ihrer Atomwaffen sicher fühlen und deshalb aggressiver auftreten, die ihre Atomtechnologie verbreiten und an andere Regierungen verkaufen. Sagan führt u. a. die Spannungsgebiete Indien – Pakistan auf, erinnert an die Tests in Nordkorea und die Bestrebungen Irans und meint: „Wissenschaftler, die wehmütig an die simplen Mechanismen der nuklearen Abschreckung zurückdenken, begreifen nicht, wie sehr sich die Welt verändert hat. Heute entscheiden wir uns nicht zwischen einer atomwaffenfreien Welt und einer Rückkehr zu einer bipolaren Abschreckung wie zu Zeiten des Kalten Krieges, sondern zwischen einer Welt ohne Atomwaffen und einer mit vielen weiteren Atommächten.“ Er endet den Artikel mit dem Satz: „Wenn wir scheitern, gemeinsam nuklear abzurüsten, wird die Welt morgen mit noch mehr Atomstaaten, Atomwaffen und der Bedrohung durch nuklearen Terrorismus eine weitaus gefährlichere.“

Felicity Hill, die 2000 unser Abrüstungs-Lobby-Projekt „Reaching Critical Will“ mit begründete und das New Yorker Büro jahrelang leitete, schrieb in dem von mir und Barbara Lochbihler herausgegebenen Sammelband: „Frau Macht Veränderung“ zusammenfassend. „Atomwaffen – sadistisch, unmenschlich, illegal und undemokratisch.“

  • sadistisch und unmenschlich, weil sie nicht in einem einmaligen Moment des Tötens (bestehen) sondern in abscheulich sadistischer Weise darauf abzielen, das Genmaterial zukünftiger Generationen zu beeinträchtigen und demnach nicht bloß einmal, sondern immer und immer wieder zu töten, zu kontaminieren und Mutationen hervorzurufen.
  • illegal, weil der Internationale Gerichtshof 1996 Atomwaffen als Verletzung des humanitären Völkerrechts einstufte, nach dem Kriegsparteien zwischen Zivilisten und Militärpersonal unterscheiden müssen.
  • Undemokratisch, weil wegen der großen Geheimhaltung der Atomprogramme die jeweiligen Parlamente an den Entscheidungen für die Entwicklung von Atomwaffen nicht ausreichend beteiligt waren.

Erich Fried verfasste zwei Haikus vom Atomkrieg
“Kämpft gegen den Krieg“

Hunderttausend sagten doch:
“Warum grade ich?“

Als der Rauchpilz stieg
fragten hunderttausend noch:
“Warum grad mich?“

Fragt nicht „Warum grade ich? “, schließt euch der Kampagne „Atomwaffenfrei .Jetzt“ an, die wiederum mit ICAN (International Campaign to Abolish Nuclear Weapons) und der Jugendorganisation BANg (Ban all Nukes generation) und Reaching Critical Will und anderen Anti-Atomkampagnen international vernetzt sind. Setzt euch für eine atomwaffenfreie Welt ein. Euer Engagement ist wichtig, ich danke euch. Lasst uns vor allem auch im kommenden Jahr Druck auf alle Bundestagskandidaten ausüben, ihre Meinung zu den in Deutschland lagernden Atomwaffen abfragen und ihre Meinung zu einer atomwaffenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten. Lasst uns ihre Stellungnahmen veröffentlichen. Richtet euer Wahlverhalten danach! Kommt alle nächstes Jahr zur Großaktion nach Büchel!