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AHass
Amira Hass ist die einzige israelische Journalistin, die in Palästina lebt.

Zufälliger Auswanderer (Accidental emigrant)

Amira Hass, Haaretz, 29.8.06

Im März dieses Jahres lief das Touristenvisum des 44 Jahre alten Hayan Ju'beh aus und er mußte nach Amman reisen, um ein neues zu bekommen – für ihn in den letzten 10 Jahren ein Routineverfahren. "In drei oder vier Tagen bin ich zurück", versprach er seinen Kindern.

An dem Tag, an dem seine Rückkehr erwartet wurde, fuhr seine Frau, die 34 Jahre alte Sawsan Quaoud mit ihren vier Kindern zum Einkaufszentrum von El Bireh. Die Kinder spielten Spiele und sie beobachtete sie während sie Kaffee trank und eine Zigarette rauchte. In dieser Situation bekam sie einen Anruf von ihrem Mann.

Die Behörden erlaubten ihm nicht die Einreise über den Allenby-Grenzübergang, berichtete er.

Wie bitte? Zuerst meinte sie, sie hätte ihn falsch verstanden, dann nahm sie ihn nicht ernst. Aber er scherzte nicht.

Hayan Ju'beh wurde in Jerusalem geboren, wuchs dort auf und lebte dort bis er ins Ausland ging, um Theater zu studieren. Er heiratete eine Irin (die auch einen britischen Pass besaß). In Großbritannien wurden ihre Kinder, der 13 Jahre alte Yussef und die 11 Jahre alte Sophie geboren.

Im Oktober 1995 verstarb seine Frau. Ju'beh beschloß, mit seinen Kindern nach Jerusalem zurückzuziehen, um sie im Kreise seiner großen Familie vor Ort aufzuziehen. Die Osloer Verträge und die Hoffnung auf Frieden lieferten eine weitere Ermutigung, zu seiner Geburtsstadt zurückzukehren. Er fand eine Arbeit im Jerusalemer Büro des MBC-Fernsehens.

Aber als er Mitte 1996 seine "laissez passer"- Reisepapiere verlängern wollte, die an Palästinenser ausgegeben werden, wenn sie ins Ausland reisen, wurde ihm vom israelischen Innenministerium mitgeteilt:"Sie sind kein Einwohner."

Zuhause keine Rechte

Im Dezember 1995 begann das Innenministerium damit, eine systematische Politik umzusetzen, tausenden von Einwohnern Jerusalems den Einwohnerstatus zu entziehen, die zwar in Jerusalem geboren waren, aber für die Jerusalem nach Aussage des Ministeriums "nicht mehr das Lebenszentrum" war – und deswegen sei ihre Aufenthalterlaubnis "ausgelaufen." Das traf auf alle zu, die in der Vergangenheit oder zu der Zeit im Ausland lebten und auf alle Palästinenser, die in Nachbargemeinden direkt außerhalb der Stadtgrenzen lebten. Es gab keine öffentliche Verlautbarung dieser Politik. Sie offenbarte sich nur dadarch, daß eine zunehmende Zahl von Personen beim Grenzübertritt oder in den Büros des Innenministeriums entdeckte, daß sie nicht mehr als Einwohner galten und nicht als Jerusalemer, und daß man ihnen die Rechte in ihrer Heimatstadt entzogen hatte.

Ju'beh war einer der Betroffenen. Seine Versuche, den Einwohnerstatus für sich und seine Kinder wiederzuerlangen schlugen fehl. Er war ohne "Identität", ohne Papiere, um seine Existenz zu beweisen. Verzweifelt bewarb er sich um die irische Staatsangehörigkeit und bekam sie auch. Seitdem war er gezwungen, seine Heimat alle drei Monate zu verlassen und als Tourist zurückzukehren.

Beim MBC traf er Sawsan Quaoud, die aus Nablus stammte und in Ramallah wohnte. 1997 heirateten sie und zogen nach Ramallah. Im Jahre 1999 gründeten sie eine Fernsehfilm-Produktionsgesellschaft. Sie hatten auch zwei Kinder. Als sie die Hoffnung verloren, daß Ju'beh seinen Jerusalemer Wohnsitz wiedergewinnen könnte, baten sie die israelischen Behörden (über das palästinensische Inneministerium) um "Familienzusammenführung" in Ramallah. D.h., sie baten Israel, ihn Einwohner unter der palästinensischen Autonomiebehörde werden zu lassen. Israel stimmte dem nicht zu; wie in allen solchen Fällen seit September 2000 wurden die Anträge auf unbestimmte Zeit verschoben.

Ju'behs zwei Kinder aus erster Ehe wurden ebenfalls von rechtswegen als Touristen betrachtet, und  - schlimmer noch - als gesetzesbrecherische Touristen. Wegen der hohen Kosten und weil sie die Schule verpaßt hätten, verließen sie das Land nicht alle drei Monate mit ihrem Vater, um ihre Touristenvisas zu erneuern,

Nachdem man Ju'beh nicht wieder hineingelassen hatte, rannte Quaoud anderthalb Monate zu verschiedenen Regierungsbehörden und Rechtsanwälten herum. Sie rief die irische Botschaft an, wo die Beamten ihr mitteilten, sie hätten beim israelischen Außenministerium und beim Innenministerium protestiert und um Erklärungen gebeten, aber keine Antwort erhalten. In der Zwischenzeit hatte Ju'beh beschlossen, sein Glück am Beit She'an-Grenzübergang zu probieren.

Am 3. Mai wurde es Ju'beh gestattet, über Beit She'an zurückzukehren, aber nur mit einem für einen Monat gültigen Visum. Sowohl er wie seine Frau glaubten sie könnten über das palästinensische Innenministerium eine Verlängerung erlangen.

Trotz der unterbrochenen Verbindungen zwischen den beiden Seiten ist es in manchen Fällen möglich, ein Visum für Ehepartner von Palästinensern ohne deren zwischenzeitliche Ausreise zu verlängern.

Dies ist jedoch nur drei bis vier Mal möglich. Danach muß der Ehepartner wieder ausreisen – ohne Rückkehrgarantie. Nachdem es ihm nicht gelang, eine Verlängerung des Visums zu erreichen, reiste Ju'beh verzweifelt nach Großbritannien ab.

Anders als manche Betroffene entschied sich Ju'beh,  nicht im Land zu bleiben und um sein Bleiberecht "von innen" zu kämpfen, nachdem sein Visum abgelaufen war. Er wäre dadurch zu einem Gefangenen in Ramallah geworden. Wenn er außerhalb der Stadt zur Arbeit gefahren wäre, hätte an jedem Kontrollpunkt ein Soldat sein "Verbrechen" entdecken und ihn deportieren können.

Allmählich fand sich das Paar damit ab, daß es keine andere Lösung gab: Die Familie mußte ausreisen und zu Ju'beh nach Großbritannien ziehen.

Quaoud traf alle Vorkehrungen selbst: Sie löste die Firma auf, die sie und ihr Ehemann gegründet hatte, entschuldigte sich bei den sechs Kameraleuten, die ihren Lebensunterhalt verloren, beeilte sich, einen Film zu vollenden, an dem sie die letzten sechs Monate gearbeitet hatte, packte ein, verabschiedete sich, bereitete die Kinder auf den Umzug vor – alles in Eile, um die Kinder noch rechtzeitig in Großbritannien einschulen zu können.

"Wir haben kapituliert", bekannte Quaoud am Vorabend ihrer erzwungenen Abreise nach Großbritannien.

Die israelischen Behörden, die Ju'behs Einwohnerstatus für sein heimatliches Jerusalem widerrufen hatten, erlaubten keine Zusammenführung mit seiner Frau in Ramallah und entschieden schließlich, daß er noch nicht einmal als Tourist das Recht hat in seinem Heimatland zu leben.