Hiroshima-Tag 06.08.2025
Rede von Monika Seiller, Aktionsgruppe Indigene & Menschenrechte
Hallo, und Danke, dass ihr heute hier seid.
Seit Jahren stehe ich hier am Hiroshima-Tag auf der Bühne, um gegen den atomaren Wahnsinn zu protestieren und die Abschaffung aller Atomwaffen zu fordern. 80 Jahre nach Beginn des atomaren Zeitalters ist dies leider immer noch notwendig – und dieser Tage vielleicht umso mehr.
Wenn wir heute der Atombombenabwürfe auf Hiroshima und Nagasaki als einem grausamen Verbrechen an der Menschheit gedenken, möchte ich als Menschenrechtsaktivistin für indigene Völker auf ein Thema hinweisen, das meist übersehen oder ignoriert wird – die Auswirkungen des atomaren Wettrüstens auf die indigenen Völker.
1994 wurde der 9. August von den Vereinten Nationen zum Internationale Tag der Indigenen Völker ernannt. Fünf Jahrzehnte zuvor versank Nagasaki just am 9. August 1945 unter dem tödlichen Atompilz. Die beiden Daten haben auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun und doch gibt es eine direkte Linie zur allerersten Atombombe auf dem Land der Indigenen in den USA.
Ihr Leid steht am Anfang der atomaren Kette – und sie sind aktuell erneut bedroht.
Auf dem traditionellen Territorium der Mescalero Apachen nahm der Alptraum seinen Anfang. Unter dem „Manhattan Project“ wurde in Alamogordo, New Mexico, die erste Atombombe der Welt gezündet – der „Trinity Test“. Die im Namen anklingende Dreifaltigkeit lässt sich nur übersetzen mit Machtgier, Menschenverachtung und monströser Dummheit.
Im Streben nach Macht und atomarer Überlegenheit wurden die Schwächsten in der Gesellschaft geopfert. Stammte das Uran für die erste Bombe noch aus dem Kongo und aus Kanada, wo noch immer Uran auf dem Land der Indigenen, insbesondere der Cree in Saskatchewan, gefördert wird, wollte die US-Regierung fortan aus sogenannten nationalen Sicherheitsgründen das spaltbare Material aus heimischen Quellen gewinnen – vor allem vom Land der Navajo Nation im Südwesten der USA.
Bereits in den 1940er Jahren wurden hier zahlreiche Uranminen erschlossen, in denen zumeist Indigene, vor allem Dineh, arbeiteten. Über die Gefahren in den Minen wurden sie nie aufgeklärt. Tausende starben an Krebs.
Noch heute gibt es mehr als 1000 aufgelassene Uranminen in den USA, darunter rund 500 allein auf dem Gebiet der Navajo. Beim Abbau des Urans bleiben rund 85% der Radioaktivität im Abraum zurück. Ahnungslos ob der Gefahren wurde der Abraum zum Bau von Schulen und Häusern verwendet.
Auf dem Land der Yakama im US-Bundesstaat Washington wurde zudem die Plutonium-Fabrik Hanford errichtet, wo das Material für die Nagasaki-Bombe angereichert wurde.
Wie wir dieser Tage wieder erfahren müssen, ist das gefährliche Spiel mit den Atomwaffen hochaktuell. Dabei dürfen wir jene nicht vergessen, auf deren Land die Atombombentests stattfanden. Auf der Nevada Test Site, dem vertraglich zugesicherten Land der Western Shoshone, führten die USA seit 1951 bis zum Teststoppabkommen 1992 insgesamt 119 oberirdische und über 1000 unterirdische Atombombentests durch. Die Tests wurden stets nur dann durchgeführt, wenn sichergestellt war, dass der radioaktive Fall-out über dem Gebiet der Western Shoshone niederging und nicht etwa weiße Städte wie Las Vegas betreffen würde. Zudem gab es immer wieder verheerende Unfälle, bei denen Radioaktivität entwich – und auch Atomtests wie Pollux im Jahr 2012, die von den USA als subkritisch eingestuft wurden und daher aus ihrer Sicht nicht unter das Atomteststoppabkommen fielen.
Bis heute kämpfen die Western Shoshone um Entschädigung und Anerkennung ihrer Rechte. Offizielle Statistiken über die Krebsopfer unter den Western Shoshone gibt es bis heute nicht.
1990 wurde der „Radioactive Exposure Compensation Act” verabschiedet, der jedoch meist nur die Veteranen, die an den Tests teilgenommen hatten und an den Folgen erkrankten, entschädigte, während die meisten Indigenen leer ausgingen. Dank hartnäckigen Ringens wurde der „Radioactive Exposure Compensation Act“ im Juli 2025 erneuert und erweitert. Nun sollen auch die Opfer des Trinity Tests entschädigt werden.
Doch nicht nur die Indigenen in den USA waren bzw. sind von dem atomaren Wahnsinn bedroht. Auch auf den Atollen Bikini und Eniwetok, die zu den Marshall Islands zählen, testeten die USA 67 Atombomben. „Castle Bravo“ mit der 1.000-fachen Sprengkraft der Hiroshima-Bombe 1954 war der verheerendste Test. Die Explosion der 15-Megatonnen-Bombe ließ eine 40 km hohe radioaktive Wolke aufsteigen, deren Fallout mehrere Atolle wie Rongelap verseuchte.
Die Bevölkerung wurde nicht vor der Gefahr gewarnt und erst drei Tage nach der Explosion evakuiert. Die Folgen waren verheerend – von Quallenbabies bis zu unzähligen Krebstoten. Auch in der dritten Generation ist Schilddrüsenkrebs eine der häufigsten Todesursachen.
Bis heute ist das Eniwetok-Atoll radioaktiv verseucht, und auf Runit Island lagern in einem Atommülllager, dem sogenannten „Dome“, seit Ende der 1970er Jahre 85.000 Kubikmeter nuklearen Abfalls, darunter Plutonium-239, eine der giftigsten Substanzen der Erde. Der Müll liegt in einem Bombenkrater der Insel, abgedeckt mit einem nur 50 Zentimeter dicken Betondeckel, der bereits deutliche Risse zeigt. Doch nun droht eine weitere Gefahr. Als Folge des Klimawandels steigt der Meeresspiegel und die Marshall Islands werden innerhalb der nächsten 50 Jahre vom Meer überspült, d.h. auch der radioaktive Müll wird den Pazifik verseuchen. Das Paradies, einstige Kolonie Deutsch-Neuguinea, hat sich in eine Hölle verwandelt.
Doch die USA waren nicht die einzige Atommacht, die das Leben der Indigenen dem atomaren Machtstreben opferten. Auch die Kolonialmacht Frankreich exportierte ihre Atomtests in Regionen weit weg vom französischen Mutterland. 190 Tests zündete Frankreich im Mururoa-Atoll, 41 davon überirdisch. Die Folgen für die Polynesier waren nicht weniger verhängnisvoll wie für die Bewohner der Marshall Islands. Doch weder die USA noch Frankreich waren jemals bereit, sich ihrer Verantwortung für die verhängnisvollen Auswirkungen auf die dortige Urbevölkerung zu stellen.
Das zerstörerische Erbe der vergangenen Tests weltweit sollte deutlich vor Augen führen, was ein Einsatz der Atombomben heute für die Menschheit bedeuten würde.
Auch wir in Europa müssen uns unserer Verantwortung stellen:
Wir fordern daher
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den Abzug der US-Atomwaffen aus Deutschland
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den Ausstieg aus der nuklearen Teilhabe in der NATO und
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die Unterzeichnung des 2021 in Kraft getretenen Atomwaffenverbotsvertrages.
Nie wieder Hiroshima!
Atomwaffen abschaffen – jetzt!
Monika Seiller, Aktionsgruppe Indigene & Menschenrechte e.V.