Rede Dr. Josef Raab zu Hiroshima 2025

Wir gedenken heute der Opfer von Hiroshima und Nagasaki, die in der ersten und bisher letzten Atombombenabwürfen der Menschheit verbrannt, verstrahlt und elend zugrunde gegangen sind. Wir gedenken dabei auch der grundlegenden Menschenwürde, die in Hiroshima und Nagasaki mit Füssen getreten wurde. Das Recht auf Leben, das Recht auf Unversehrtheit der Wohnung, das Recht auf Unversehrtheit des eigenen Körpers.

Atombomben sind eine spezifische Form von unmenschlicher Gewalt. Mit dem folgenden Text möchte ich an alle Opfer kriegerischer Gewalt gedenken, nicht ausschließlich der atomaren Verstrahlung und nuklearen Verbrennung. In den heutigen Kriegen wird die Menschenwürde täglich neu und immer wieder auf grausame und brutale Weise missachtet, in vielerlei Facetten und Ausformungen. Es gibt keinen humanen Krieg.

Ich habe Euch den Text einer ungenannten Frau aus Montenegro mitgebracht. Sie hat die Gewalt, die ihr widerfahren ist, überlebt, und ihre Worte, stellvertretend für die Worte aller Opfer von kriegerischer Gewalt, richten sich an uns. Deshalb gehören sie heute, hier und jetzt, zu dieser Stunde der Erinnerung an Hiroshima und Nagasaki.

Am Anfang warst du nur ein einfaches schwarzes Kleid. Schwarz war nicht bloß eine Farbe, sondern symbolisierte all unsere schlaflosen Nächte und die Traurigkeit. Unser Leben war dunkel, ohne Hoffnung und voller Demütigung. Schwarz, das waren die Hände des Tyrannen, die Schreie in der dunklen Nacht, die Einsamkeit.

Ich glaubte, dass Schwarz bis zum Ende die Farbe meines Lebens sein würde, weil ich Opfer von Gewalt wurde. Als ich darauf angewiesen war, dass andere Menschen ihre Stimme erheben und uns beschützen, blieben sie alle still. Als ich gefragt wurde: Sag, was war das Schwerste? Die Prügel, die du jeden Tag bekamst, oder die Demütigung? da sagte ich: Es war die Stille. Die Stille von all denjenigen, die ihre Stimme erheben sollten. Ihr Schweigen war schmerzhafter als alle Prügel und Demütigungen zusammen.

Wir stehen hier und heute zusammen, weil wir eine Erinnerungskultur pflegen, mit der wir unser Mitgefühl mit den Opfern zum Ausdruck bringen. Ja, wir lassen uns anrühren, wir lassen uns verstören von der Wucht des Schmerzes, der in diesen Worten zum Ausdruck gebracht wird.

Lasst uns zusammen stehen und uns gemeinsam empören gegen die Stille unserer Regierung, gegen das unerträgliche Schweigen unserer Öffentlichkeit zu den Verbrechen gegen die Menschlichkeit, welche die Kriege in der Welt verursachen. Wir dürfen nicht schweigen, lasst uns gemeinsam den Appell dieser Frau hören: Es war die Stille. Die Stille von all denjenigen, die ihre Stimme erheben sollten. Ihr Schweigen war schmerzhafter als alle Prügel und Demütigungen zusammen.

Dr. Josef Raab