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Mehr von dieser Reise: 2.) Unterwegs in Palästina, 3.) Beckenbauer, Schröder und Hitler


Drei Aufgaben: Verletzen, Verhaften, Töten


So lautet der Auftrag der Israeli Occupation Forces (IOF) in den besetzten Gebieten.
Internationale AktivistInnen setzen ihre Präsenz und Internationales Recht dagegen.

Nach einer für palästinensische Verhältnisse unproblematischen Fahrt von Jerusalem in das 50 Kilometer entfernte Dorf Kafrein (ca. 1500 Einwohner) im Westjordanland wurden wir, AktivistInnen aus Japan, den USA, Dänemark, Großbritannien und Deutschland, von den Dorfbewohnern freudig begrüßt. Wir hatten nur vier Checkpoints und Straßensperren aus Betonblöcken zu überwinden gehabt, die uns zwischendurch zu Fußmärschen und Taxiwechseln gezwungen hatten, weiter nichts.

Unsere Anwesenheit im Dorf und unsere Aktivitäten vor Ort waren mit den Bewohnern abgestimmt, wie dies grundsätzlich der Fall ist, wenn Internationale den palästinensischen Widerstand unterstützen. In Kafrein halten sich bereits seit gut zwei Wochen AktivistInnen von IWPS (International Womens' Peace Services) aus aller Welt auf, die den Dorfbewohnern helfen, sich mit gewaltfreien Methoden gegen die Besatzung zu schützen und zu wehren.

Der Vorplatz des Hauses der Familie Nadir, wo wir beim abendlichen Gespräch in der Runde saßen, war weithin sichtbar durch eine Glühbirne beleuchtet. Die Soldaten sollten sehen, dass die Dorfbewohner nicht alleine sind.

Als der Schreckensruf "djeish" (arab. für Armee) erklang, verstummten alle. Das vibrierende Brummen von "Hummern", riesigen, gepanzerten Jeeps, made in USA, näherte sich bedrohlich. Die Palästinenser, "Vogelfreie" auch in den Resten ihrer Heimat, waren in den Häusern verschwunden, als die "Hummer" den Platz vor dem Haus Nadir erreichten. Sieben junge israelische Soldaten sprangen aus den Militärjeeps, sicherten den Platz und schickten sich an, in das Haus einzudringen. Wir versperrten ihnen den Weg und verlangten Auskunft über ihr Vorgehen.

Internationales Recht bildet die Grundlage für die Aktivitäten der Internationalen in Palästina. Wir befanden uns in der sogenannten Zone A, also laut Osloer Abkommen in einem Gebiet unter palästinensischer Verwaltung. Abgesehen davon, dass die Anwesenheit der israelischen Armee im Gazastreifen und der Westbank jeglicher rechtlichen Grundlage entbehrt, verbieten die Genfer Konvention und andere bindende internationale Übereinkünfte Kollektivbestrafung oder Übergriffe einer Besatzungsmacht auf die Zivilbevölkerung und ihr Eigentum.

Die Soldaten brüllten Befehle, drohten mit ihren Gewehren und versuchten, uns beiseite zu drängen. Um ihre Aggressivität nicht zu steigern, die sie in erster Linie an den Palästinensern auslassen würden, verlegten wir uns eher darauf zu beobachten und behutsam zu verhandeln. Mehrere Soldaten durchsuchten das Haus. Einem Sohn Nadir wurden ohne nähere Angaben terroristische Aktivitäten vorgeworfen, der Vater und zwei Jungen mussen sich vor dem Haus hinhocken. Im Haus wurde alles durchwühlt, außer unserem Gepäck. Es gelang den Frauen, die Soldaten davon abzubringen.

Als sie nach einer viertel Stunde das Haus verließen, luden sie den Hausherren und dessen Neffen, den 14-jährigen Ala in den Jeep und wollten losfahren. In zähen Verhandlungen gelang es uns, ihnen die Zusage abzuringen, die beiden nach fünf Minuten freizulassen. Doch dann ließen sie die Motoren an. Wir stellten uns den gepanzerten Fahrzeugen in den Weg und verlangten die Freilassung von Herrn Nadir und dem Jungen. Mein Mitstreiter Günter gab die Straße nicht frei, woraufhin er ebenfalls in den Jeep geladen wurde und eine Kapuze übergezogen bekam. Die "Hummer" fuhren, begleitet von heftig protestierenden Frauen, langsam davon.

Unterwegs wurde der Junge als "Schutzschild" missbraucht. Die Soldaten schickten ihn zum Wegräumen von Straßensperren vor, während Halbwüchsige begannen, Steine nach den "Hummern" zu werfen. Die Frauen und ich redeten auf sie ein und konnten ihnen klarmachen, dass sie so den Jungen gefährdeten.

Die Soldaten ließen schließlich Herrn Nadir und seinen Neffen frei, doch Günter wurde in eine nahe gelegene Siedlung gebracht. Als man ihn dort "aussetzen" wollte, hatte er jede Orientierung verloren, konnte aber schließlich die Soldaten überreden, ihn zum Ortseingang von Kafrein zurückzubringen.

Als wir uns später mit einem Lehrer aus dem Dorf unterhalten, findet er klare Worte für das Vorgehen der Soldaten: "Sie haben nur drei Aufgaben: verhaften, verletzen, töten." Die Präsenz der internationalen AktivistInnen im Dorf vermag das grundsätzlich nicht zu verhindern. Doch durch ihre Gegenwart wird die Isolation der Bewohner eines unbekannten Dorfes wie Kafrein durchbrochen, das in den Wochen vor der Ankunft der Internationals mehrfach angegriffen wurde, ohne dass irgendein Journalist sich darum gekümmert hätte. Dabei waren massive Zerstörungen von Häusern und Infrastruktur an der Tagesordnung. Erst Anfang diesen Monats drangen über 100 Soldaten in das Dorf, warfen Blendgranaten, durchsuchten 20 Häuser, schmissen den Hausrat auf die Straße, vernichteten in einem Fall 400 Liter Olivenöl und ruinierten die Bekleidung einer Familie: Sie übergossen die Textilien mit dem Öl und drohten, sie könnten noch ganz anders...

Der Familienvater Nadir wurde schon mehrfach - ohne Haftbefehl, ohne Angabe von Gründen - verhaftet und mit einem Sack über dem Kopf und Kabelbindern um die Handgelenke verschleppt. Die Bilder im Irak und Palästina gleichen sich.


Andreas Bock aus dem besetzten Palästina im April 2004

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