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Mehr von dieser Reise: 1.) Bericht aus Kafrein, 3.) Beckenbauer, Schröder und Hitler


Unterwegs in Palästina


Ta'ayush heißt "zusammen leben" - Araber und Juden, die sich weigern, Feinde zu sein

Als zu Beginn der zweiten Intifada dreizehn Demonstranten, arabische Staatsbürger Israels, ermordet wurden, reagierten jüdische und arabische Israelis mit der Gründung von Ta'ayush (arab., "Zusammenleben"). Bei jener friedlichen Demonstration in der "einzigen Demokratie des Nahen Ostens" hatten sich israelische Palästinenser - sie machen ca. 1/5 der israelischen Bevölkerung aus - mit dem Widerstand gegen die Besatzung in der Westbank solidarisiert, dem verzweifelten Aufbegehren Steine schleudernder Jugendlicher, die von der Besatzungsmacht gnadenlos verfolgt wurden. Gnadenlos: bereits in den ersten Wochen der zweiten Intifada tötete die israelische Armee 150 Palästinenser, von denen die Hälfte unter 30 Jahren alt war und verletzte Tausende Zivilisten, zum Teil schwer. Als der Protest israelischer Bürger in Israel selber mit gleichen Methoden niedergemetzelt wurde, war dies die Geburtsstunde von Ta'ayush: Juden und Araber aus Israel weigern sich, Feinde zu sein und bestehen auf ihrem Recht zusammenzuleben. Gemeinsam unterstützen sie den Widerstand der Palästinenser in der Westbank. Seit dem Sommer 2001 hat sich ein immer enger geknüpftes Netz zwischen palästinensischen NGOs und Dorfgemeinden, israelischen Gruppen wie Ta'ayush und internationalen Aktivisten, vorwiegend aus den sozialen Bewegungen gegen die kapitalistische Globalisierung, gebildet, die gemeinsam und kontinuierlich in den besetzten Gebieten agieren.

Beispiel Jimba, ein Ort mit ca. 300 Bewohnern, unweit der größeren Ortschaft Yata mit Schule, Krankenhaus, Verwaltung und Geschäften für die Leute aus Jimba. Das Besondere an den Bewohnern von Jimba: Sie leben seit dem 19.Jahrhundert in Höhlen, wenn sie nicht als Halbnomaden mit ihren Herden herumziehen. Sie bearbeiten aber auch die letzten Getreidefelder in der Westbank. Das weniger Besondere an den Bewohnern von Jimba: Sie sind seit Jahrzehnten dem vereinten Terror von Siedlern, Besatzungsarmee und Militärverwaltung ausgesetzt, die immer wieder kurzerhand per Dekret palästinensisches Land enteignen und zur Militärzone erklären. Doch nicht nur durch bürokratische Maßnahmen, auch durch das Besprühen der Felder aus der Luft mit giftigen Chemikalien oder durch physische Gewalt werden die Palästinenser um Jimba zum Verlassen ihrer Höhlenwohnungen, zur Aufgabe ihrer Lebensart und ihres Landes gezwungen. Ihre Höhlenwohnungen werden verwüstet und zugeschüttet, ganze Schafherden beschlagnahmt und geschlachtet, und die bewaffneten Siedler, die in der Westbank ihren Hass unter den Augen der Armee ungehindert ausleben, schikanieren die Dorfbewohner auf dem Weg zur Schule oder zum Einkaufen im benachbarten Yatta derart, dass sie nur noch auf Umwegen dorthin gelangen können.

Im Verlauf der zweiten Intifada hat die systematische Vertreibungspolitik immer wieder dazu geführt, dass die Höhlenbewohner, die, wie viele Palästinenser, ihr Ausharren als Widerstand verstehen, Israelis und Internationale um Hilfe gebeten haben.

Als wir, internationale Aktivisten, zusammen mit zahlreichen von Ta'ayush zusammengetrommelten Israelis am 24.4.04 in Jimba eintrafen, führten uns die Dorfbewohner zu Höhlenwohnungen, die von der israelischen Besatzungsarmee verwüstet worden waren. Zusammen mit den betroffenen Familien und deren Verwandten arbeiteten wir uns durch den Erdwall, der vor einer Höhle aufgetürmt war. Eimer um Eimer wurde gefüllt und ging von Hand zu Hand. Für die Utensilien - Schaufeln und Spitzhacken - hatte Ta'ayush gesorgt. Mit den Spitzhacken legten wir die Steinquader der eingestürzen Befestigungsmauer frei.

Nach stundenlanger - für mich ungewohnter Arbeit und entsprechenden Blasen an den Händen - hatten wir den Eingang zu einer beeindruckenden Wohnung freigelegt: Leicht abfallend führte ein ca. 1,5 m breiter und 4 m langer Gang unter die Erde. Gesichert ist solch ein "Flur" durch beinahe nahtlos aneinandergefügte Steinquader. Am Ende gingen von nur brusthohen Eingängen drei Räume ab.

Gadi Alghazi, Historiker aus Tel Aviv und Mitbegründer von Ta'ayush, ist fasziniert von "der einzigartigen ökologischen Nische" in dieser Wüstenregion, ein fragiler Zusammenhang, den zu zerstören es nur zwei Minuten und der brachialen Gewalt eines Bulldozers bedarf. Die Gewalt der Panzer und Bulldozer, die Gewalt der Apartheidsmauer, diese Gewalt spiegelt sich in der tiefen Spaltung der israelischen Gesellschaft in Juden und Araber. Es ist die gewaltsame Separation, der Ta'ayush, so Gadi Alghazi, die Einheit von jüdischen und arabischen Aktivisten entgegensetzt. Die Zusammenarbeit bedeute auch, eine gemeinsame Perspektive aufzubauen jenseits von Abschottung und Ghettoisierung. Es gelte mit den Mitteln des gewaltlosen Widerstands praktische Solidarität zu üben und so auf den kolonialen Krieg Sharons eine politische Antwort zu geben.

Am Abend gaben wir unsere Schaufeln und Spitzhacken ab, aber unser Vorhaben endete damit noch nicht. Wir werden auch in den nächsten Tagen beim Protest gegen den Mauerbau oder als internationale Zeugen der Übergriffe des israelischen Militärs auf die Zivilbevölkerung den verzweifelten Ausspruch eines palästinensischen Freundes zu widerlegen suchen: "We have no chance."


Andreas Bock aus dem besetzten Palästina im April/Mai 2004

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